Carolin Emcke:
Wie wir begehren
In der 26. Etage des OpernTurms in den Räumen der Ashurst LLP fanden sich am 10. Mai viele Interessierte ein, um das Gespräch zwischen der Journalistin und Autorin Carolin Emcke und dem Autor Thomas Hettche zu hören.
Die Veranstaltung hatte kaum begonnen, da klingelte auf einem Sideboard in der Nähe des Podiums ein Handy. „Oh, ruft Herr Aust an?“, begegnete Carolin Emcke der Situation humorvoll. Apropos Stefan Aust: Der „Spiegel“-Chef hätte Carolin Emcke, die von 1998 bis 2006 beim Nachrichtenmagazin arbeitete, gerne an den Stuhl gefesselt und wollte sie keineswegs in die Krisengebiete ziehen lassen. Aber genau das, so erläuterte Thomas Hettche, ist neben der Geschichte der RAF eines ihrer großen Themen. Im nun veröffentlichten Buch „Wie wir begehren“ geht sie auf die Liebe zwischen Frauen ein. Besteht Carolin Emcke aus drei ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten?
„Schön, dass man so viele Personen auf einmal sein kann“, antwortete die Reporterin, „doch die Gegensätze sind gar nicht so groß, wie man glaubt.“ Prägend war für sie das Philosophie-Studium in Frankfurt bei Jürgen Habermas. Immer wieder kommt sie in ihren Texten auf philosophische Fragen zurück. Im Zentrum stehen die Themen Gewalt und Sprachlosigkeit. Beides hängt zusammen; die psychische und physische Versehrtheit der vom Krieg betroffenen Menschen führt zu Sprachlosigkeit.
„’Philosophie ist volkswirtschaftlich totes Fleisch’, sagte mein Vater. Ich habe während meines Studiums immer Praktika gemacht. Ich wollte mich gerne der Realität aussetzen“, erzählte Carolin Emcke über ihre journalistischen Anfänge und belegte das mit einer Episode: Sie sollte in der Berichterstattung über die Geiselname in Gladbeck 1988 einen Mann befragen, ging in dessen Küche und fand Hundefutter vor. Er hatte aber gar keinen Hund, sondern ernährte sich selbst davon. „Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt und wollte nie wieder in einen Zustand solcher Ahnungslosigkeit kommen“, unterstrich Carolin Emcke.
„Begibt sich ein Kriegsreporter gerne in Gefahr?“, kolportierte Thomas Hettche ein Klischee. „Mit dem Begriff wird etwas Schreckliches verbunden, Abenteuerliebe oder die Faszination von Gewalt. Aber das Gegenteil ist der Fall“, stellte Carolin Emcke klar. „Muss man nicht wie durch eine Schleuse gehen, wenn man in Krisengebiete fährt? Und dabei etwas verlieren, um etwas Neues zu bekommen?“, fragte der Schriftsteller. „So ist es, man verwandelt sich in Kleidung, Mimik, Gestik. Es hat etwas von doppeltem Übersetzen“, pflichtete ihm die Reporterin bei. Und sie führt ein drastisches Beispiel gegen das landläufige Bild eines Kriegsreporters an: „Wenn ich in einem Krankenhaus Brandwunden sehe, steht mir die Kotze bis zum Hals. Das sehen die Leute allerdings nicht.“
In „Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF“ (2008) setzt sich Carolin Emcke mit dieser Gruppierung auseinander. Nach wie vor plädiert sie für eine Art Wahrheitstribunal, in Südafrika war das erfolgreich.
Eine Passage aus ihrem neuen Buch folgte und leitete ein anderes Thema ein. „Ist sexuelle Prägung schon vorherbestimmt oder wächst ein Kind indifferent auf?“, wollte Thomas Hettche wissen. „Ich frage mich im Buch, wie ich aufgewachsen bin und was hätte prägend sein können“, antwortete Carolin Emcke. Sie erzählte von den Filmhelden ihrer Kindheit und Jugend. „Ich wollte immer Winnetou sein und nicht seine Schwester Nscho-tschi, die fand ich albern“, erwähnte sie exemplarisch. „Mich haben die gleichen Filme irritiert wie Sie“, gab Thomas Hettche zu.
Während sich das Bild der Frau in den letzten Jahren auch in Büchern und Filmen erheblich wandelte, gibt es auch heute noch merkwürdige Situationen, die Carolin Emcke auffallen: „Im Fitness-Center darf ich immer noch in die Frauenumkleide. Ein Wolf im Schafspelz!“, amüsierte sie sich. „Ich beneide Sie!“, fügte Thomas Hettche hinzu.
Carolin Emcke spricht sich in ihrem Buch dafür aus, die Möglichkeiten der Ambivalenz zu retten, man solle eher über Ähnlichkeiten nachdenken als über Differenzen.