Christiane Rösinger:
Liebe wird oft überbewertet
Es dauerte eine Weile, bis am 5. Mai alle, die diese musikalische Lesung hören wollten, im kleinen Saal der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Platz gefunden hatten – der Andrang war groß.
Sonja Vandenrath begrüßte die Gäste, Julia Cloot, künstlerische Mitarbeiterin und sonst mit zeitgenössischer Musik befasst, freute sich, erstmals eine Liedermacherin und damit auch ein anderes Publikum in der Hochschule zu haben.
Christiane Rösinger kündigte das 12. oder 14. Konzert ihrer Tour, so genau wusste sie das jetzt auch nicht, als „einen langen Abend der Wissenschaft“ an. Sie habe „die ergebnisoffene Paarforschung erfunden und versuche nun, sie zu etablieren.“
Mit der Feststellung, dass „Pärchen nur knapp über Einzellern und Pantoffeltierchen stehen“, begann sie ihr „Seminar“. „Pärchentum produziert am laufenden Band unglückliche Gestalten, die beispielsweise im Restaurant verzweifelt das Besteck streicheln“, teilte sie dem Publikum ihre Erkenntnisse mit. Dann werden von diesen unglücklichen Pärchen Spieleabende veranstaltet, um der Langeweile zu entrinnen. „Da darf ich nicht mitmachen, das ist schon ein bisschen traurig“, sagte sie mit nur halb versteckter Ironie.
Ein Wort ist zu klären, das im Laufe des Abends oft vorkommen wird: die romantische Zweierbeziehung, kurz RZB.
Musikalisch ging es mit dem Lied „Die Pärchenlüge“ weiter.
Dann allerdings wurde es „streng wissenschaftlich“, das Alphabet wurde von hinten aufgerollt: Der Buchstabe Z wie Zoologie bietet eine Fülle von Ansatzpunkten. Nehmen wir Knut, den „Justin Bieber der Tierwelt“, zur Illustration hatte Christiane Rösinger einige hübsche Fotos mitgebracht, die auf der großen Leinwand hinter der Bühne zu sehen waren. „Es sind nur schöne Fotos, die hässlichen erspare ich euch“, erläuterte die Sängerin und Autorin. Fazit: Knuts Bindungsversuche enden tödlich.
P wie Psychologie führt zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ein Dreieck zwischen Leidenschaft, Intimität und Bindung, zunächst gleichschenklig ausbalanciert, gerät in Schieflage, wie die Lehrende mit einem gar nicht so einfach zu handhabenden Zeigestock demonstrierte. Das sei auch nicht abgeschrieben, sondern ein PDF aus dem Internet, da gibt’s nichts zu fälschen, bemerkte Christiane Rösinger.
Wer tiefer in die angebotenen Theorien eindringen will, kann sich mit den sechs Liebesstilen Storge, Agape, Ludus, Mania, Pragma und Eros ausgiebig befassen , „aber wir sind ja hier im Grundkurs“, brach die Paarforscherin ab.
„Ich muss immer an dich denken“, ein 2010 geschriebenes Lied, bildete einen musikalischen Abschluss des Themas.
C wie Chemie und ein Exkurs zu den verschiedenen Aussprachemöglichkeiten folgten, außerdem die Anmerkung von der in Baden-Württemberg geborenen und seit 1985 in Berlin wohnenden Autorin, dass die „Norddeutschen keine schöne Sprache haben“. Christiane Rösinger kommt auf das „In-Hormon Oxytocin“ und erklärt seine Wirkung mit einem Beispiel: „Mutterschafe, denen Oxytocin gespritzt wird, binden sich sehr schnell an ein fremdes Lamm.“ „Was für ein schöner Satz!“, kommentierte sie diese wissenschaftliche Feststellung. Auf der Leinwand führte sie gestylte Tierfotos und gegelte Mäuse vor, die nun wirklich keiner zu Hause haben möchte.
Sarkastisches folgt: das Lied vom zukünftigen Ex-Freund.
Liebe, so ging es munter weiter, treibt oft seltsame Blüten. Nicht nur im Tierreich, wo sich ein schwarzer Schwan unsterblich in einen weißen, etwas größeren Schwan verliebte und nicht erkannte, dass das Objekt der Sehnsucht eine Tretboot aus Kunststoff war. Oder ein anderer Schwan, der einen blauen Traktor jahrelang stalkte – selbstredend in Norddeutschland.
Gibt es nicht auch Menschen, die sich in Idioten verlieben und das nicht merken? Solchen Auswüchsen hat Christiane Rösinger das Kapitel „Die Vampir-Beziehung als positive Utopie“ in ihrem Buch „Liebe wird oft überbewertet“ gewidmet.
Manchmal werden allerdings alle Warnungen gut meinender Freunde in den Wind geschlagen, wie das nun folgende Lied beweist. Und überhaupt: Man kann sich ja schließlich wieder trennen.
Das Publikum lauschte den illustrierten Ausführungen über die RZB bei den Urmenschen und der Aufzählung überwiegend unglücklicher Paare der Weltgeschichte, die sich von Adam und Eva bis zu Rose und Jack auf der „Titanic“ reihen. Die Ausnahme: Siegfried und Roy. Wenn’s bei denen langweilig wird, haben sie immer noch die Tiger zur Abwechslung.
Kurz kommt die Autorin auf die Theorie zwitterähnlicher Kugelmenschen, die schließlich mitten durchgeschnitten wurden (übrigens die Erfindung eines antiken betrunkenen Comedian).
„Natürlich stehe ich für Nachfragen zur Verfügung, mein Buch liest sich nicht so einfach“, warnte und lockte die Autorin und Musikerin und hätte gern eine zweite Schorle, denn „ich muss auch immer noch singen. Das ist schon anstrengend.“
Nach diesen Erkenntnissen ist klar: „Jetzt kommen die Depris.“ Und sie weiß, dass sie mit ihrer Ansicht Anfeindungen ausgesetzt ist. „Ich humple ein bisschen, mein Orthopäde sagte mir, es hätte gar keinen Sinn, meinen Zehen ständig zu tapen, irgendwer trete mir demnächst sowieso wieder auf die Füße“, erklärte sie.
In der Hochschule tat das keiner – ihr witziges, ironisches und überraschendes Programm aus Lesung und Musik begeisterte so sehr, dass sie und ihre Musiker – Andreas Spechtl am Klavier (und am Laptop), Stefan Pabst am Schlagzeug, Claudia Fierke an der Gitarre – für eine Zugabe noch einmal auf die Bühne geholt wurden. Ein toller Abend.