Im Zeichen der Liebe ...
... trafen sich gestern Abend, 2. Mai, Literatur affine Menschen zur Eröffnung des 6. Festivals literaTurm im Kaisersaal des Frankfurter Römers. Kulturdezernent Felix Semmelroth begrüßte die Gäste, darunter Ex-Ministerin Ruth Wagner und den Geschäftsführer des Kulturfonds FrankfurtRheinMain, Albrecht von Kalnein.
„Konzept statt Event“ treffe für das im Herzen der Stadt beginnende Festival zu, es werde „keine Lesungen im Heißluftballon über dem Main“ geben, dafür wolle man mit den Veranstaltungen „den Lesenden in die Magengrube treffen und im Gehirn Assozietät auslösen“, formulierte der Kulturdezernent.
Der Abend im Zeichen der Liebe, den auf dem Podium Eva Illouz, Ulrike Draesner (eingesprungen für die erkrankte Sibylle Lewitscharoff) und Michael Lentz sowie als Moderatorin Felicitas von Lovenberg bestritten, begann mit einer Bestätigung von Ulrike Draesner; ja, die Literatur sei Schuld am Liebesleid. Allerdings wurde die Literatur darin von der Popkultur überholt. Gefühle wie Liebe seien nicht angeboren, sondern Ergebnis kultureller Entwicklung – und sie können sich nicht entfalten, wenn sie ohne Reaktion bleiben.
Früher, im 17. Jahrhundert (also viel früher), sei alles viel klarer gewesen, urteilte Eva Illouz (die von Isabel Hindersin übersetzt wurde). Romantische Vorstellungen hingen viel mit dem Gefühl der Freiheit zusammen. Insofern war die Literatur gefährlich. Und heute? Die literarische Funktion der Befreiung gibt es nicht mehr in dem Maße, aber Tabus gilt es nach wie vor zu hinterfragen. Außerdem kann Literatur die Imagination unterschiedlicher möglicher Welten unterstützen.
Welche Rolle spielt das Internet? Die Chats führen zu einem „Abhaken nach krudesten und schlimmsten Regeln“, meinte Ulrike Draesner. Komik und Verletzungen gleichermaßen seien das Resultat. Man solle dem „Wildwuchs des freien Marktes mit Raffinesse entgegentreten und in Sprache umsetzen“, forderte die Schriftstellerin.
Michael Lentz sieht Literatur als Mitte zwischen Glück und Leid und damit befindlich zwischen Paradoxen. Ihm sei die Rolle als zweiter Beobachter lieber als die des unmittelbar Beteiligten. „Wie war das gleich noch mal mit dem ‚es lebt sich ganz ungeniert’?“, fragte er ins Publikum. „Ist der Ruf erst runiniert …“, kommt die Antwort vielstimmig aus dem Saal. „Danke“, meinte Michael Lentz.
Zum Thema bemerkte er lakonisch: „Die meisten lesen nicht. Kennen sie also keine Gefühle? So ist das nicht, geliebt werden kann auch ohne zu lesen.“
Sicher seien die Niederungen im Netz spürbar, doch was hier an Worten und Ausdrücken zu finden sei, könne in einem anderen Kontext hoch literarisch sein. „Die Subcodes müssen geknackt werden“, forderte der Autor.
Wo verbindet ein Gefühl Sprache und Körper? Wo ist die Grenze zum Kitsch oder zum Pathos? Welche Beziehung gibt es zwischen Begehren, Einbildungskraft und Realität? Wie haben sich Begriffe im Laufe der Zeit gewandelt? Bringt das Internet, wie Eva Illouz behauptet, die Phantasie eher zum Verdorren? Ist Liebe heute zwischen Ehevertrag, weißer Kutsche und Kinderwunsch angesiedelt?
Der Abend war ein fast zweistündiger Versuch, das Thema Liebe und Literatur von mehreren Seiten zu beleuchten.