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Olga Grjasnowa:
Der Russe ist einer, der Birken liebt

„Dann geh du doch zu ‚Scheißleben’, ich sitz hier bei den Russen!“

Es ist nicht so einfach, sich zu Veranstaltungen von literaTurm zu verabreden. Ohne Handy geradezu unmöglich. Deshalb klingelt es auch ab und an störend während einer Lesung. Dieses nicht überhörbare Telefonat allerdings wurde knapp vor Beginn des Literaturgespräches geführt. Ob sich die beiden im Laufe des Abends noch getroffen haben?

Gastgeber des literarischen Dialogs am 8. Mai zwischen den Schriftstellerinnen Olga Grjasnowa und Zsuzsa Bánk war die Rechtsanwaltssozietät Morgan, Lewis & Bockuis LLP in der 29. Etage des OpernTurms. Jörg Siegels begrüßte die Gäste und wies darauf hin, dass seine Sozietät gerade heute zwei neue Büros eröffnet habe, eines in Moskau und ein weiteres in Almaty (Kasachstan). „Vielleicht kann ich ja bald selbst vor Ort feststellen, ob der Titel des Buches stimmt!“, bemerkte er abschließend.

Vorab sollte richtig gestellt werden: Hier saßen sich keineswegs zwei Russinnen gegenüber. Olga Grjasnowa wurde in Baku (Aserbaidschan) geboren, Zsusza Bánk in Frankfurt, ihre Eltern stammen aus Ungarn. Beide Gesprächspartnerinnen sind deutsche Autorinnen.

Elfjährig kam Olga Grjasnowa mit ihren Eltern als so genannte Kontigentflüchtlinge nach Hessen, das Mädchen lernte Deutsch (nur ein Miniakzent ist bei einzelnen Worten noch hörbar), legte in Frankfurt das Abitur ab, studierte Kunstgeschichte und Slawistik und besuchte das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig. Nach Aufenthalten in Polen, Russland und Israel studiert sie zurzeit Tanzwissenschaften an der FU Berlin.

Ihr Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ spricht viele Themen an; Heimatlosigkeit, Tod, Liebe, Selbstfindung sind nur einige davon. Wie aber, fragte Zsuzsa Bánk, muss man den Titel verstehen? „Es geht weder um Russen noch um Birken“, antwortete Olga Grjasnowa. Es geht um Mascha, wie die Autorin in Baku geboren, wie sie mit den Eltern nach Deutschland geflohen. Gleich zu Beginn des Buches stirbt ihr Maschas Geliebter Elias nach einer Sportverletzung an einer Lungenembolie. Warum so ein Anfang? „Dieses Drama war für den Fortgang der Geschichte notwendig“, erläuterte Olga Grjasnowa. Es ist bereits das zweite im jungen Leben von Mascha; noch in Baku stürzte dem Mädchen eine Frau aus einem Haus vor die Füße. Starke Traumata, die Mascha nicht überwinden kann. Sie klammert sich an ihre Karriere, will Dolmetscherin bei der UNO werden. Als Ausgleich nimmt sie alles mit, was sie kriegen kann; Gegenstände und Menschen. Mascha provoziert gerne, so spart sie sich Auseinandersetzungen mit den eigenen Befindlichkeiten.

„In ihrem Roman kommen alle Gefühle vor“, urteilte Zsuzsa Bánk. „Es ist schmeichelhaft, wenn Sie das sagen. Ich würde mein eigenes Buch nicht so beurteilen“, wandte Olga Grjasnowa ein. Sie liest vom Sterben und Töten fast lakonisch, Ungeheuerlichkeiten werden einfach mitgeteilt. Drei Jahre hat die Autorin an dem Buch gearbeitet, viel recherchiert, die Charaktere der Protagonisten so angelegt, wie sie nun erscheinen. Allerdings: „Cem ist für mich während des Schreibens zum Helden geworden“, gestand Olga Grjasnowa.

„Der Freundeskreis von Mascha hat so haarsträubende Biografien, die das eigene Leben langweilig erscheinen lassen. Alle sind gebildet, haben studiert, sind heimatlos. Nur der türkischstämmige Cem sagt einmal: Mein Zuhause ist Frankfurt, Gallus. Es gibt kaum Deutsche im Buch, selbst Elias ist ein Ossi und gehört nicht ganz dazu (ein Raunen ist im Publikum zu hören). Warum ist das so?“, wollte Zsuzsa Bánk wissen. „Für mich sind alle Deutsche“, antwortete Olga Grjasnowa. Es gehe um Staatsbürgerschaft, um die Rahmenbedingungen. Wie kann man sich integrieren, wenn man seine Erlebnisse nicht verarbeitet hat? Mascha wolle zwar Sicherheit, fliehe aber, sobald sie diese erreicht habe.

„Ich mag den Begriff Heimat nicht“, bemerkte Olga Grjasnowa. Er werde politisch zu sehr ausgeschlachtet, das wurde kürzlich wieder in der Wahlkampagne von Putin deutlicht. „Es ist ein schwammiger Begriff, der nichts definiert“, befand die Autorin. Für sie ist der Unterschied zwischen Nationalstaat und Einwandererstaat wichtiger. „Heimat kann nur existieren, wenn es auch Fremde gibt“, postulierte sie.

Über die Schilderung des Frankfurter Bahnhofsviertels, das als bunt, lebendig und gar nicht schäbig beschrieben wird, wunderte sich Zsuzsa Bánk. Hat Olga Grjasnowa das tatsächlich so erlebt? „Ich mag Frankfurt sehr gerne, habe hier mein Abitur gemacht und in der Zeilgalerie Turnschuhe verkauft. Ein so buntes Leben ist nur in Frankfurt möglich“, sagte die Autorin.

Das kann man als abschließendes Statement doch mal so gelten lassen an einem Ort im Herzen der Stadt – selbst wenn Frankfurt im Buch nur eine Nebenrolle spielt.

Olga Grjasnowa (l.) im Gespräch mit Zsuzsa Bánk
Olga Grjasnowa
Blick ins Publikum