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Hans Pleschinski:
Nie war es herrlicher zu leben

Im Anfang des 19. Jahrhunderts erbauten Landhaus, der heutigen Historischen Villa Metzler, war am 7. Mai jede Menge los.

Am Nachmittag wurde eine Tafel für die russischen Literaten Wassilij Schukowski und Nikolaj Gogol eingeweiht, am Abend stellte der Autor, Literatur- und Theaterwissenschaftler Hans Pleschinski im Gespräch mit Steffen Martus, Professor für Neuere deutsche Literatur an der HU Berlin, das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ vor – ein Tag mit europäischen Dimensionen.

In seiner Einführung wies Florian Koch auch noch auf die musikalische Dimension der Villa hin, hier befinde sich in der ersten Etage das berühmte Ruckers-Cembalo aus dem Jahre 1622 und damit ein Pendant zu den ebenfalls im 17. Jahrhundert gefertigten legendären Stradivari-Instrumenten.

Emmanuel Herzog von Croÿ (1718-1784) hat 41 Tagebuch-Bände, etwa 5000 Seiten, hinterlassen. Hans Pleschinski, „ein Multitalent“, wie Steffen Martus unterstrich, übersetzte die Tagebücher, erschienen sind sie 2011 und zählen zu den schönsten Büchern, „auch in diesem Jahr“, betonte Martus. Wahrscheinlich würde die Ausgabe auch Voltaire und Croÿ gefallen, mutmaßen die beiden Literaten.

Ist es Literatur, was Croÿ hinterlassen hat? „Literatur war für ihn zu skrupulös“, antwortete Hans Pleschinski, der sich an die Arbeit mit den Original-Diarien in Paris erinnerte: „Schon der Anblick des livrierten Dieners, der die Bände mit weißen Handschuhen herbeischaffte, war beeindruckend. Als Papier wurde übrigens alles Mögliche verwendet.“

„Die Fülle des Materials war eine Herausforderung. Ein anderes Auswahlkriterium bestand für mich darin, dass ich mich bei der Arbeit nicht langweilen wollte“, erläuterte der Übersetzer und Herausgeber und rechtfertigte Kürzungen: „Die 15. Intrige einer Herzogin in kafkaesker Beschreibung ist nicht mehr so interessant. Eine Wiedergabe en detail war nicht geplant.“ So sind aus 5000 Seiten reichlich 400 geworden.

Croÿ schrieb – passend zum diesjährigen literaTurm-Motto – lakonisch und leidenschaftlich zugleich, er begann sein Diarium mit 20 Jahren, zunächst in kurzen Stichworten, später in epischer Breite. Der Duc de Croÿ verfasste diese Bände – er schrieb fast jeden Tag – nur für sich, sie ersetzten ihm zu jener Zeit die Fotos, die wir heute von erinnerungswürdigen Ereignissen aufbewahren.

15 Jahre benötigte der Herzog, bis er den lang ersehnten Orden erhält. „Doch dann war die Freude verbraucht“, zitierte Hans Pleschinski. Das Bild eines feinfühligen, genau beobachtenden und scharf urteilenden Adligen, der sowohl viel reist als auch die Sitten, Bräuche und Intrigen des Hofes kennt und sich nie korrumpieren lässt, wird sichtbar. Eine Passage charakterisiert Croÿ besonders treffend: Beim Ausbruch eines Feuers wird zuerst das Schreib-Necessaire in Sicherheit gebracht, dann der Brand gelöscht. „Und das tat ein Marschall von Frankreich! So etwas wünscht man sich von einem Offizier!“, ergänzte Hans Pleschinski die Episode.

Frankfurt spielt ebenfalls eine Rolle, Croÿ war zur Kaiserkrönung 1742 anwesend und beschreibt das Fest als Spektakel, das in ganz Europa wahrgenommen wurde. Er reist weiter nach Mainz, „eine nicht sonderlich reizvolle Stadt, aber der Schlüssel zu Deutschland. Man trinkt hier den besten Wein – und nicht wenig davon“, steht im Tagebuch. Auf dem Rückweg nach Frankreich notierte der Herzog: „Wo Frankreich beginnt, ist ganz leicht zu merken, denn die miserablen deutschen Straßen bleiben hinter uns.“

Der Zuhörer und Leser erfährt viel über jene Zeit vor der Revolution, die von Croÿ beschrieben, nicht reflektiert wird. Paris erscheint dabei während der Herrschaft Ludwig XVI. (1754-1793) zunächst eher langweilig. Doch unter der Oberfläche gärte es bereits, die Französische Revolution war nicht aufzuhalten.

Im Buch begegnet man vielen Persönlichkeiten der Zeit; Voltaire, „der noch geistreicher plauderte als er schrieb“, Joseph II., Louis XV und seinem Nachfolger; der Metzgerstochter und späteren einflussreichen Mätresse Ludwigs XV., Madame de Pompadour. „Dem niederwalzenden Charme einer Pompadour entkam keiner. Man muss sie sich als eine Mischung aus Margaret Thatcher, Hillary Clinton und Claudia Schiffer vorstellen“, erläuterte Hans Pleschinski.

Eine der letzten vorgetragenen Passagen aus dem Buch beschreibt die Experimente der Brüder Montgolfier, den Aufstieg eines Heißluftballons in Paris.

Der Leichtigkeit von Luftballons ähnelte dieses Gespräch zwischen Steffen Martus und Hans Pleschinski; sie spielten sich die Bälle zu – nie ist einer heruntergefallen.

Steffen Martus (l.) im Gespräch mit Hans Pleschinski
Im Anschluss an das Gespräch konnten Fragen gestellt werden
Am gleichen Tag eingeweiht: Tafel an der Historischen Villa Metzler